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Kollateralnutzen

Der militärische Fachbegriff „Kollateralschaden“ wurde spätestens seit dem Kosovo Krieg einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Nato-Sprecher bezeichnete damit die unbeabsichtigten Folgen einer sonst erfolgreichen militärischen Operation, wie z.B. zufällige zivile Opfer oder Umweltschäden.

Dass es auch einen Kollateralnutzen gibt, erfahren wir gerade im Rahmen der Corona-Krise.

Neben zahlreichen problematischen Effekten hat die Krise auch einiges Gutes zu bieten.

Wir werden an die Grenzen des Machbaren erinnert. Corona könnte uns demütig machen und zeigen, dass wir die Welt und die Kultur mit all unserer Technik doch nicht so einfach kontrollieren können. Corona verdeutlicht die negativen Aspekte der Globalisierung, des Outsourcing, der Kommerzialisierung, Privatisierung und Ausblutung von Gesundheitssystemen. Eine solche Krise stellt die Systemfrage. Sie bringt uns aus dem Alltagstrott und lässt uns die zentralen Fragen der Existenz neu stellen. Sie stellt die Frage nach der Bedeutung von Bürger und Freiheitsrechten in Krisenzeiten, nach der Notwendigkeit von Führung und Kooperation.

Besonders der „Lockdown“, das einmalige, zuvor für unmöglich gehaltene Herunterfahren von Wirtschaft, Produktion, Verkehr, Handel beschert der Umwelt eine ungeahnte Atempause. Keine andere Maßnahme hätte so viel CO2 eingespart.

Selbst in Gegenden, die für extreme Luftverschmutzung bekannt sind, lässt sich wieder aufatmen. Der Smog lichtet sich und gibt ungeahnte Ausblicke frei. Tiere machen es sich in den verwaisten Städten gemütlich. Noch nie haben wir so einen klaren, blauen Himmel gesehen ohne jeden Kondensstreifen. Die Chemtrail-These hat sich damit wohl erledigt.

Auf Autobahnen, Schnellstraßen und den üblicherweise verstopften Innenstadtadern kaum Autoverkehr, jede Menge Platz für Radfahrer und sogar für Fußgänger. In der Stadt dominieren wieder menschlichen Stimmen und Vogelgezwitscher den sonst allgegenwärtigen Verkehrslärm. Nachweislich gehen Verkehrsunfälle zurück.

Dazu kein Lärm durch Straßenfeste, Grillparties oder ausufernde Privatparties.
In der Verlangsamung des Lebens lässt die Alltagshektik nach, der permanente Stresslevel sinkt (wenn man nicht gerade erkrankt oder in der Pflege von Kranken beschäftigt ist.) Der Lockdown mitten in einem wunderschönen Frühlingsbeginn wirkt  wie ein langer Urlaub, in dem wir nebenher noch ein bisschen arbeiten, falls wir noch einen Job haben. Wir stellen fest, dass uns die Fernreisen gar nicht so sehr fehlen. Wir können auch spannende Dinge in der nächsten Umgebung entdecken. Wir stellen fest, dass ein langsameres Leben durchaus entspannend ist. Wir brauchen eigentlich gar nicht diese ständige Betriebsamkeit und akustische Berieselung. Wir brauchen auch nicht ständig etwas zu kaufen. Es reicht, einmal in der Woche die notwendigen Lebensmittel zu besorgen. Dadurch, dass wir weniger shoppen und weniger ausgehen, sparen wir sogar.

In Ermangelung anderer Ablenkungsmöglichkeiten wird die Kreativität angefacht. Nerds können sich ganz in ihre Onlinewelten versenken und neue Apps und Streamingmöglichkeiten entwickeln. Die Digitalisierung dürfte einen Sprung nach vorne machen. Wer es lieber analog mag, kann mit der ganzen Familie fantasievolle Mundschutze nähen.

Ein überraschender Kollateralnutzen ist offenbar die Verdrängung anderer viraler und bakterieller Erkrankungen durch das neue Coronavirus.

Zu begrüßen ist auch die neue Begeisterung für Virologie und Statistik im Speziellen und für Wissenschaft im Allgemeinen. Selten haben wissenschaftliche Themen und wissenschaftliche Experten so ein breites Publikum und soviel Presse bekommen.