Corona ist ein Hurensohn

Stadtbücherei Frankfurt, Bibliothekszentrum Sachsenhausen, 13.10.2020 — Blog. Teil 1

Ein imposantes Schreibtischeck zentral in der Bibliothek. Natürlich mit Corona-Hygienekonzept. Sitze mit Mundschutz hinter einer Plexiglastrennwand (immerhin mit Durchreiche), umgeben von Sprüh- und Händedesinfektion. Natürlich müssen alle Büchereibesucher einen Mundschutz tragen, durch den sie mehr oder weniger deutlich nuscheln. Nach jeder Benutzung werden Stifte und Stempel desinfiziert. Ich habe mir vor lauter Bürostolz eine Krawatte umgebunden.

Seit März leben wir im Schatten der Corona-Pandemie. Corona ist das alles beherrschende Thema seit Monaten. Ich brauche nicht lange warten, bis jemand das Wort „Corona“ abgibt. Mit einem resignierten Seufzer. Der ältere Herr weiß ganz genau, dass Corona dadurch nicht verschwinden wird. Es ist einfach ein Zeichen des Frustes. Ich suche ein fröhliches Ersatzwort. Aber ich weiß, dass sich eine globale Pandemie nicht mit Wörtern und pseudomagischen Kunstritualen beeinflussen läßt. Im Gegenteil: die Pandemie macht deutlich, wie wenig wir hier mit Sprache ausrichten können.

Corona und die Erkrankung Covid 19 sind der Einbruch einer medizinischen Realität in unsere zunehmend virtuelle Welt. Wahrscheinlich können wir deswegen so schwer damit umgehen. Dabei ist Corona eigentlich ein schönes Wort, viel schöner jedenfalls als die technisch genaue Bezeichnung Sars-Cov2 oder die damit verbundene Erkrankung Covid-19. Corona bezeichnet im Lateinischen den Kranz oder die Krone. Ich kannte die Bezeichnung bis vor kurzem nur im Zusammenhang mit der Sonne. So schnell können sich Bedeutungen ändern. Ob Sonne oder Viren – die Gemeinsamkeit liegt im Kranz und in der beeindruckenden Harmonie der Struktur. Ich finde, der Begriff Corona liegt gut im Mund und ist anschaulich. Ich hätte als Wort eher „Covid 19“ entsorgt, nicht nur als Erkrankung sondern auch als Begriff. Mir behagt es nicht, Erkrankungen hinter kryptischen Akronymen und Ziffern zu verstecken. Ist es nicht geradezu entmenschlichend, Krankheiten mit abstrakten Codes zu bezeichnen?

Ein älterer Gast – selbst nicht mehr ganz gesund – sieht das entspannter. Die technischen Bezeichnungen seien eben präziser und im Zeitalter der Globalisierung müssten Krankeitsbezeichnungen international sofort verstanden werden.

Am späteren Nachmittag wird es voller. Sobald mal ein paar Menschen bei mir sind, wird es auch für andere interessant. Wenn es den Müttern gelingt, ihre Kinder zu motivieren, dann ist es schwer sie wieder zu stoppen. Wenn ich die Kinder frage, welche Wörter überflüssig seien, welche sie nicht brauchen oder welche sie nerven kommen fast immer die klassischen Schimpfwörter, Dumm und Scheiße, aber auch Fettsack, Hurensohn, Idiot und Fette Henne sollen weg. Schimpfwörter loszuwerden, ist ein alter Traum der Menschheit, eine Utopie. Kirche, Puritaner und Sozialrevolutionäre haben sich gleichermaßen bemüht, Schimpfwörter zu ächten. Wir alle hassen es, beschimpft zu werden. Schimpfwörter verletzen, tun weh. Andererseits lieben wir es, ja wir brauchen es, zu schimpfen, wenn wir uns ärgern. Nicht auszudenken, wenn wir keine Wörter mehr für unseren Ärger hätten. Ich vermute, die Schimpfwortabgabe ist bei Kindern auch deswegen so beliebt, weil es ihnen Gelegenheit bietet, sie gefahrlos auszusprechen.  

Die Bücherei ist längst nicht nur ein Ort zum Bücher leihen. Viele Jugendliche lernen hier. Ein junger Student stöhnt über das Wort „Stufenklage“. Seit Stunden habe er sich damit beschäftigt, ohne es wirklich zu verstehen. Von der Stufenklage kommt man schnell zum Klagehaufen und zur Rechtshängigkeit. Fast poetisch, oder?

Die Neigung noch für die banalste Tätigkeit bombastisch-international wirkende englische oder englisch klingende Begriffe zu verwenden, gehört zu den nervigsten Sprachmarotten der Gegenwart. Wenn Menschen sich selbst „comitten“, aber dann doch nicht ganz „matchen“ – das sei doch nun wirklich unsinnig und überflüssig, meint eine pensionierte Lehrerin.

Auch das „Denken“ muß daran glauben. Ein Herr im hellen Trenchcoat ist sich sicher, dass das kleine Wort, die großen Vorgänge des „Denkens“ nicht erfassen kann. Ohnehin seien zu viele Wörter unpräzise. Klare Definitionen seien nötig.

Die „Zicke“ wird gemeinsam mit dem „Schokokind“ wegen Diskriminierung entsorgt.

Am Ende wird noch der Strumpf für überflüssig erklärt. Klar, der Strumpf als Einzelwort steht wahrscheinlich für den Einzelstrumpf. Damit wäre noch ein Strumpf übrig – wie üblich.

Aber „was jetzt“ fragt eine junge Frau, die gerade die Schule hinter sich hat. Sie könne das nicht mehr hören. Immer diese Frage: „was jetzt“?

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