Buchmesse Frankfurt, Open Books Festival, Kunstverein Frankfurt 19.10.2016
Mein Büro im Zentrum von Open Books, dem großen Frankfurter Lesefestival zur Buchmesse, mitten im Foyer des Kunstvereins, schön eingerahmt von den beiden geschwungenen Treppen. Noch bevor ich alle Flyer und Wortkarten und Stifte und Stempel ausgepackt habe und die neu erworbene künstliche Topfpflanze platziert habe, noch bevor überhaupt Einlass ist, bekomme ich die ersten beiden Wörter überreicht.
„Sale“ und das schöne deutsche Verwaltungskompositum „Konsolidierungsbeitrag“. Erst denke ich bei Sale an Halle an der Saale. Es dauert, bis es klickt, dass das englische „Sale“ gemeint ist….der große Ausverkauf, Rausverkauf.
Wörter, die etwas mit Geld zu tun haben, denke ich, sind nicht beliebt. „Sale“ brüllt einem in guter amerikanischer Tradition seine Botschaft direkt, knallhart und ohne Umschweife in die Nerven. In guter deutscher Vernebelungstradition steht dagegen der schwammig-euphemistische „Konsolidierungsbeitrag“. Ich muss lange nachdenken, ohne dass mir eine wirklich schlüssige Definition einfällt. Eines der vielen neuen Wörter für „Sparmassnahme“?
Mein Büro ist ein seltsam unliterarischer Ort. Irgendwo im Hintergrund kann ich einen Büchertisch erkennen. In Schüben kommen Besucher und hasten zu den drei parallelen Lesungen in den zwei Stockwerken über mir. Zu hören ist nur der Applaus. Ich hatte gehofft, geschwollene Literaturbegriffe ernten zu können. Doch entsorgt werden überwiegend Alltagsfloskeln, Füllwörter. Tages-Unwort ist erneut das unschuldige „eigentlich“, über das ich schon an anderer Stelle geschrieben habe.
Auch fehlen die bösen Wörter der aktuellen politischen Debatten mit einer Ausnahme. „Völkisch“ wird entsorgt neben Windeln, Wirtschaft und Wurstlücke. Ja, die „Wurstlücke“ gibt es wirklich: eine Lücke im Kartellrecht. Der Wurstfabrikant Tönnies erhielt für zwei Tochterfirmen wegen dreister Preisabsprachen im Rahmen eines „Wurstkartells“ hohe Bußgelder. Daraufhin ließ er diese Firmen einfach mit einer „Konzerninternen Umstrukturierung“ aus dem Handelsregister löschen. Es gab keine Empfänger mehr für das Bußgeld. Dafür bekam die deutsche Sprache ein neues Wort.
Ebenso rätselhaft erschien mir zunächst der Ausdruck „ein Doing haben“, den ein Architekt hinterließ. Ein Begriff aus Konferenzen, erklärte er. Es habe etwas mit Aufgaben zu tun. Endlich mal ein toller Denglisch Begriff, denke ich, so bescheuert, wie man sich nur wünschen kann, zumal in deutscher Aussprache. Ich verliebe mich sogleich. Auf die Schnelle finde ich zwei Quellen. Ein Lexikon amerikanischer Idiome gibt folgende Beispiele: „Bob: Are you busy Saturday night? Bill: Yes, I’ve got something doing. I don’t have anything doing Sunday night. I have something on almost every Saturday.“. Die andere führt zur Gendertheorie, aus der ja immer wieder interessante Sprachimpulse kommen. Candace West und Don Zimmerman haben den Begriff „Doing Gender“ geprägt, um darauf hinzuweisen, dass Geschlecht nicht einfach da ist, sondern „gemacht“ wird. Gendertheorie und Alltagsidiom zusammen streuen seitdem in verschiedene Richtungen von „Doing culture“ zu „doing news“. Alles wird „gemacht“ und jeder Mensch hat, bekommt oder braucht ein „doing“. Wow, denke ich und schlage den Bogen. Auch die „überflüssigen Wörter“ waren vermutlich nicht einfach da. Sie wurden „gemacht“. Überflüssiger Weise. Zum Glück gibt es zum Doing das Undoing, also ein Ent-machen. Zumindest ist das zu Hoffen, auch wenn es beim „Doing Klimawandel“ mittlerweile Zweifel gibt, ob das mit dem Un-Doing immer funktioniert. Hier ist vielleicht die „Wurstlücke im Doing“.