Kongress „Neue Wege in der beruflichen Sprachförderung“ am 31.8. in der Industrie und Handelskammer Frankfurt.
Was ist hier eigentlich los? Kein modernes „Buzzword“, kein aufgeblasener Manager- oder Bürokratensprech, keine PR-Sprache, kein Anglizismus und kein Denglish-Wortbrei ist das überflüssigste Wort. Es ist das schöne, schlichte alte deutsche Wort eigentlich, das bereits seit dem Mittelalter in Gebrauch ist. Was ist das Problem?
Vielleicht die implizierte Relativierung, die vorsichtige Distanzierung, die verborgene Entschuldigung? Der aktuelle Duden definiert eigentlich als „einen meist halbherzigen, nicht überzeugenden Einwand“, der „auf eine ursprüngliche, schon aufgegebene Absicht hinweise“ (Zitat: Online Duden, Sept. 2016).
Eigentlich möchten die hier versammelten Menschen aus Wirtschaft und Bildungsinstitutionen ja wirklich etwas für die Integration von Flüchtlingen tun. Vermutlich haben sie die besten Absichten. Eigentlich. Aber so einfach geht es eben nicht. Es gibt so viele Hindernisse. Bürokratische, Sprachliche, Kulturelle, Strukturelle. Eigentlich standen ihm alle Möglichkeiten offen. Eigentlich sind wir gute Menschen. Aber in der Realität müssen wir uns eben anpassen. Eigentlich bist Du ja ganz toll integriert, aber leider müssen wir Dich trotzdem abschieben. Eigentlich würde ich ja gerne mehr für dich tun, aber die Strukturen lassen es leider nicht zu. Eigentlich wollte ich schon längst mit dem Rauchen aufhören und vegan leben, aber….
Kann es sein, dass eigentlich die Menschen nervt, weil es symptomatisch für die Kluft von Anspruch und Wirklichkeit steht? Eine Kluft, die im sozialen Bereich, in der Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten besonders weit auseinanderklafft?
Oder ist man nach fast 1000 Jahren auf den Trichter gekommen, dieses Wort endlich in der klassischen Füllwörterkiste zu entsorgen. Ein Wort, das immer herausrutscht, wenn wir um den heissen Brei herum reden. Und dann gilt es auch noch als „rechtschreiblich schwierig“ (siehe Online Duden). Ein Grund mehr, es loszuwerden?
Übrigens diagnostizierte Theodor W. Adorno bereits 1964 einen „Jargon der Eigentlichkeit“, eine geschwollene Sprache von Funktionsträgern:
Der Jargon fungiere als „Kennmarke vergesellschafteter Erwähltheit“, edel und anheimelnd in eins; Untersprache als Obersprache; der Jargon verwende „marktgängige Edelsubstantive“, Worte die „klingen als ob sie Höheres sagten, als was sie bedeuten“, die sakral sind ohne sakralen Gehalt, Effekt sind als Wirkung ohne Ursache, die ein „nicht vorhandenes Geheimnis“ vorgeben, die eine „Himmelfahrt des Wortes, als wäre der Segen von oben in ihm zu lesen“ suggerieren, ein „ständiges Tremolo“ und eine „präfabrizierte Ergriffenheit“. Der Jargon erstrecke sich von der Philosophie und Theologie nicht bloß Evangelischer Akademien über die Pädagogik, über Volkshochschulen und Jugendbünde bis zur gehobenen Redeweise von Deputierten aus Wirtschaft und Verwaltung“ (JdE 9/416). Charakteristisch für ihn seien „signalhaft einschnappende Wörter“ (JdE 9/417), die Adorno auf Heideggers Leitkategorie der Eigentlichkeit zurückführt.
Zitat nach https://de.wikipedia.org/wiki/Jargon_der_Eigentlichkeit